In allen mir bekannten Layout- und auch Office-Programmen stehen alle wesentlichen Einstellungen zur Textformatierung sowohl lokal als auch in Stil- oder Formatvorlagen zur Verfügung. Nur in Scribus nicht. Hier besteht die Merkwürdigkeit, dass einige wichtige Einstellungen zur Absatzformatierung nicht lokal ausführbar sind, sondern nur über den Absatzstil.
Eine äußerst unangenehme Arbeitserschwernis besteht darin, dass sich die Abstände vor und nach Absätzen in Scribus nur über Stile einstellen lassen. Das ist ziemlich praxisfremd.
Man unterscheidet im Satz die beiden Grundtypen Werksatz und Akzidenz- oder Layoutsatz. Für den Werksatz, d.h. den Satz umfangreicher textlastiger, strukturierter Dokumente sind Stil- oder Formatvorlagen ein unverzichtbares Hilfsmittel. Akzidenzsatz ist die freie Gestaltung kleinerer Drucksachen (Anzeige, Visitenkarte, Plakat, Flyer usw.). Im Akzidenzsatz hat man wenig Text, der frei zu gestalten ist. Das Wichtigste, was man für den Akzidenzsatz braucht, ist: (geschultes) Augenmaß. Man braucht meistens keine Stilvorlagen, sondern absolute Flexibilität in der Raumverteilung. Dass in Scribus die Einstellung von Absatzabständen nur über den Umweg von Absatzstilen möglich ist, macht das Programm im Grunde für jeden, der häufig Akzidenzen zu setzen hat, unbrauchbar.
Aber auch im Werksatz gibt es Situationen, wo man Flexibilität in der Raumverteilung braucht. Ich gebe ein Beispiel:
Hier ist eine fiktive Buchseite, die neben glattem Text eine Abschnittsüberschrift enthält. Als gute, gängige Gestaltung dieser Abschnittsüberschrift bietet sich an: auf Mitte, kursiv, Schriftgrad wie Grundschrift, Abstand oberhalb: anderthalb Zeilen, Abstand danach: eine halbe Zeile. So passt sich die Überschrift um eine halbe Zeile versetzt in das Grundlinienraster ein, und der Abstand davor und danach bewirken eine harmonische Gliederung:
Nun könnte folgender Fall eintreten: Wenn die Ausgangszeile des vorangehenden Absatzes sehr kurz ist, dann ensteht über der Abschnittsüberschrift optisch ein zu großer Weißraum:
Leider ist es aber in Scribus nicht möglich, die Änderung des Abstands lokal vorzunehmen. Sondern man muss einen neuen Stil anlegen. Wenn der beschriebene Fall in einem Buch ein- oder zweimal vorkommt, ist das unnötig umständlich.
Die Arbeit mit Scribus wird durch solche Inkonsistenzen in der Bedienung leider schmerzlich ineffizient. Eine legitime und realistische Anforderung, die an Scribus zu stellen wäre, bestünde darin, dass endlich die Funktionen zur Textformatierung konsistent gestaltet werden, so dass alle Einstellungen sowohl lokal als auch in Stilen zur Verfügung stehen - so wie es bei anderen Programmen Standard ist. Dem wäre meiner Ansicht nach der Vorrang vor der Einführung neuer Funktionen (wie z.B. Fußnoten) einzuräumen. Vor allem ist es für die Programmierer auch nicht schwer, die Einstellung der Absatzabstände in die Eigenschaften-Palette aufzunehmen - mir ist ein Rätsel, wieso das bislang nicht geschehen ist.
