Umgang mit "Hurenkindern"
Verfasst: Mi 25. Nov 2015, 20:09
Ein "Hurenkind" (im Englischen weniger derb widow genannt) ist in der alten Setzersprache die Bezeichnung für eine letzte Zeile eines Absatzes, die beim Umbruch am Anfang einer neuen Seite/Spalte zu stehen kommt. Das ist ausgesprochen unschön, weil dadurch die rechteckige Form der Kolumne gestört wird, und deshalb unbedingt zu vermeiden.
Ein "Schusterjunge" (englisch orphan) ist das Gegenstück: eine erste Zeile eines Absatzes, die beim Umbruch unten am Ende der Seite/Spalte steht. Schusterjungen sollten, wenn es geht, vermieden werden, können aber eher toleriert werden.
Beispiel für ein Hurenkind auf der rechten Seite:
Was macht man, wenn ein Hurenkind auftritt?
Wenn man selbst der Autor des Texts ist, kann man einfach den Text ändern (z.B. irgendwo ein Absatzende hinzufügen). Wenn der Autor eine lebende Person ist, kann man ihn eventuell um eine Änderung bitten. In einen Text von Thomas Mann jedoch kann man nicht willkürlich eingreifen. Und auch dann, wenn ein Text eines lebenden Autors einen höheren künstlerischen oder intellektuellen Anspruch erhebt, dann sollten Formulierung und Gliederung nicht von derart äußerlichen Faktoren bestimmt werden.
Wie also wird man Hurenkinder los? Im Bleisatz war das oft eine ziemlich aufwändige Angelegenheit. (Ich besitze einige Bücher aus billigen Taschenbuchreichen renommierter Verlage aus den 1970er Jahren, wo Hurenkinder vorkommen - die Kosten für ihre Beseitigung wären bei diesen Publikationen einfach zu hoch gewesen. Schusterjungen lässt man generell meistens stehen, weil der Aufwand zu ihrer Tilgung zu hoch ist.)
Wenn man auf einer der Seiten von dem Hurenkind freigestelltes Material (Bilder, Tabellen usw.) hat, wo vertikale Abstände verändert werden können, lässt sich das Problem bequem lösen, indem man Abstände so vergrößert oder verkleinert, dass auf der Seite eine Zeile mehr oder weniger steht.
Schwieriger wird es, wenn man wie im oben gezeigten Beispiel nur "glatten" Text hat - dieser steht meistens auf einem Grundlinienraster ohne zusätzliche Abstände zwischen den Absätzen, so dass kein vertikaler Spielraum besteht.
Im Bleisatz hat man manchmal eine nicht optimale, aber kostengünstige Lösung erzielt, indem die vorletzte Zeile des problematischen Absatzes auf die nächste (in unserem Beispiel die rechte) Seite umgehoben wurde; auf der auf diese Weise um eine Zeile gekürzten (hier linken) Seite hat man dann die Höhe ausgeglichen, indem man zwischen die Zeilen Streifen aus Seidenpapier gelegt hat. Die Seite enthielt dann also eine Zeile weniger, wurde aber durch hauchdünnen zusätzlichen Zeilendurchschuss auf die volle Höhe ausgetrieben. Eine solche Lösung ist nicht perfekt, weil die Seite dann nicht "Register hielt", sie wurde aber akzeptiert, wenn andere Lösungen (vor allem im Zeilengusssatz) zu hohe Kosten für Neusatz verursacht hätten.
In Scribus besteht diese Möglichkeit nicht, weil Scribus keine Funktion für einen "vertikalen Keil" (vertikales Austreiben auf die volle Rahmenhöhe) hat.
Die sauberste, allerdings auch mühsamste Lösung besteht darin, auf den Seiten vor dem Hurenkind einen geeigneten Absatz zu suchen, wo man durch eine unauffällige Veränderung der Wortzwischenräume, eventuell auch der Schriftbreite eine Zeile ein- oder ausbringen kann. Im vorliegenden Beispiel bietet sich hierfür der vorletzte Absatz der rechten Seite an:
Die Wortzwischenräume in einem Absatz lassen sich in der Eigenschaften-Palette unter Erweiterte Einstellungen als "Laufweite" regulieren (was terminologisch irreführend ist, unter Laufweite versteht man normalerweise den Abstand der Zeichen, nicht den Wortabstand). Im vorliegenden Beispiel konnte mit der Reduzierung des Minimums auf 88% eine Zeile eingebracht werden.
Zusätzlich bietet sich im DTP auch eine Möglichkeit an, die der Bleisetzer nicht hatte: Man kann die Schriftbreite um ein bis zwei Prozent verändern, das fällt nicht auf. Auch dadurch lässt sich häufig eine Zeile ein- oder ausbringen. Um die Schriftbreite für den ganzen Absatz flexibel anzupassen, bietet Scribus die Funktion "Glyphenstauchung". Natürlich kann man auch Kombinationen von "Laufweite" und "Glyphenstauchung" verwenden. Man muss nur darauf achten, dass solche Eingriffe unauffällig sind: Die Schriftbreite sollte nicht so verändert werden, dass man es merkt, die Wortzwischenräume dürfen klein sein, aber nicht so klein, dass kein Abstand mehr erkennbar ist, und nicht so groß, dass Löcher entstehen, über die das Auge stolpert. Manchmal gibt es schwierige Fälle, wo man experimentieren muss.
Ein "Schusterjunge" (englisch orphan) ist das Gegenstück: eine erste Zeile eines Absatzes, die beim Umbruch unten am Ende der Seite/Spalte steht. Schusterjungen sollten, wenn es geht, vermieden werden, können aber eher toleriert werden.
Beispiel für ein Hurenkind auf der rechten Seite:
Was macht man, wenn ein Hurenkind auftritt?
Wenn man selbst der Autor des Texts ist, kann man einfach den Text ändern (z.B. irgendwo ein Absatzende hinzufügen). Wenn der Autor eine lebende Person ist, kann man ihn eventuell um eine Änderung bitten. In einen Text von Thomas Mann jedoch kann man nicht willkürlich eingreifen. Und auch dann, wenn ein Text eines lebenden Autors einen höheren künstlerischen oder intellektuellen Anspruch erhebt, dann sollten Formulierung und Gliederung nicht von derart äußerlichen Faktoren bestimmt werden.
Wie also wird man Hurenkinder los? Im Bleisatz war das oft eine ziemlich aufwändige Angelegenheit. (Ich besitze einige Bücher aus billigen Taschenbuchreichen renommierter Verlage aus den 1970er Jahren, wo Hurenkinder vorkommen - die Kosten für ihre Beseitigung wären bei diesen Publikationen einfach zu hoch gewesen. Schusterjungen lässt man generell meistens stehen, weil der Aufwand zu ihrer Tilgung zu hoch ist.)
Wenn man auf einer der Seiten von dem Hurenkind freigestelltes Material (Bilder, Tabellen usw.) hat, wo vertikale Abstände verändert werden können, lässt sich das Problem bequem lösen, indem man Abstände so vergrößert oder verkleinert, dass auf der Seite eine Zeile mehr oder weniger steht.
Schwieriger wird es, wenn man wie im oben gezeigten Beispiel nur "glatten" Text hat - dieser steht meistens auf einem Grundlinienraster ohne zusätzliche Abstände zwischen den Absätzen, so dass kein vertikaler Spielraum besteht.
Im Bleisatz hat man manchmal eine nicht optimale, aber kostengünstige Lösung erzielt, indem die vorletzte Zeile des problematischen Absatzes auf die nächste (in unserem Beispiel die rechte) Seite umgehoben wurde; auf der auf diese Weise um eine Zeile gekürzten (hier linken) Seite hat man dann die Höhe ausgeglichen, indem man zwischen die Zeilen Streifen aus Seidenpapier gelegt hat. Die Seite enthielt dann also eine Zeile weniger, wurde aber durch hauchdünnen zusätzlichen Zeilendurchschuss auf die volle Höhe ausgetrieben. Eine solche Lösung ist nicht perfekt, weil die Seite dann nicht "Register hielt", sie wurde aber akzeptiert, wenn andere Lösungen (vor allem im Zeilengusssatz) zu hohe Kosten für Neusatz verursacht hätten.
In Scribus besteht diese Möglichkeit nicht, weil Scribus keine Funktion für einen "vertikalen Keil" (vertikales Austreiben auf die volle Rahmenhöhe) hat.
Die sauberste, allerdings auch mühsamste Lösung besteht darin, auf den Seiten vor dem Hurenkind einen geeigneten Absatz zu suchen, wo man durch eine unauffällige Veränderung der Wortzwischenräume, eventuell auch der Schriftbreite eine Zeile ein- oder ausbringen kann. Im vorliegenden Beispiel bietet sich hierfür der vorletzte Absatz der rechten Seite an:
Die Wortzwischenräume in einem Absatz lassen sich in der Eigenschaften-Palette unter Erweiterte Einstellungen als "Laufweite" regulieren (was terminologisch irreführend ist, unter Laufweite versteht man normalerweise den Abstand der Zeichen, nicht den Wortabstand). Im vorliegenden Beispiel konnte mit der Reduzierung des Minimums auf 88% eine Zeile eingebracht werden.
Zusätzlich bietet sich im DTP auch eine Möglichkeit an, die der Bleisetzer nicht hatte: Man kann die Schriftbreite um ein bis zwei Prozent verändern, das fällt nicht auf. Auch dadurch lässt sich häufig eine Zeile ein- oder ausbringen. Um die Schriftbreite für den ganzen Absatz flexibel anzupassen, bietet Scribus die Funktion "Glyphenstauchung". Natürlich kann man auch Kombinationen von "Laufweite" und "Glyphenstauchung" verwenden. Man muss nur darauf achten, dass solche Eingriffe unauffällig sind: Die Schriftbreite sollte nicht so verändert werden, dass man es merkt, die Wortzwischenräume dürfen klein sein, aber nicht so klein, dass kein Abstand mehr erkennbar ist, und nicht so groß, dass Löcher entstehen, über die das Auge stolpert. Manchmal gibt es schwierige Fälle, wo man experimentieren muss.