Dass Fußnoten so kompliziert sind, wusste ich noch gar nicht.
Fußnoten
können ziemlich kompliziert sein, weil es viele Gestaltungsmöglichkeiten gibt.
Eine Minimalanforderung an eine saubere Fußnotengestaltung wäre die, dass - bei kleinerem Schriftgrad - die unterste Schriftlinie des Fußnotenteils bündig zur untersten Schriftlinie des Grundtexts ist, so dass in dem Fall, dass nebeneinander eine Seite ohne Fußnoten und eine Seite mit Fußnoten stehen, beide Seiten auf der untersten Schriftlinie bündig abschließen. LaTeX macht das automatisch so. TeX setzt die Seite aus "Boxen" zusammen, die vertikal eine Höhe und eine Tiefe (für die Unterlänge) haben. Dadurch kann diese Anforderung auch bei Text ín unterschiedlichen Schriftgraden, also mit unterschiedlichen Unterlängen, leicht erfüllt werden, denn TeX kennt die Grundlinie der Boxen. In rahmenorientierten Layoutprogrammen ist diese Anforderung schwerer zu erfüllen. (Wenn man nur gelegentlich ein paar Fußnoten setzt, ist das nicht so schlimm, aber wenn man eine Fußnotenfunktion regelmäßig braucht, wäre das schon zu bedenken.)
Nun aber nur zum Verständnis der Problematik etwas Trickreiches. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte:
Das Beispiel, das ich hier zeige, ist keine Erfindung von mir, sondern ein Fußnotenlayout, das z.B. in Büchern des Suhrkamp-Verlags öfters vorkommt: Die Fußnoten sollen mit hängendem Einzug gesetzt werden. Am linken Rand steht die Fußnotennummer, gefolgt von einem Halbgeviertabstand. Von hier aus wird der Text hängend eingezogen. Wenn nun auf einer Seite
n- und
n+1-stellige Fußnoten stehen, müssen die
n- und
n+1-stelligen Nummern rechtsbündig untereinander stehen (d.h. vor den
n-stelligen Nummern muss ein Halbgeviert freigeschlagen werden). Damit ein Programm das automatisch machen kann, muss es den Inhalt der ganzen Seite berechnen, es muss "wissen", welche Fußnoten auf der Seite stehen. Das geht am besten mit einer batchorientierten Arbeitsweise.
In LaTeX, das batchorientiert arbeitet, ist dafür keine Funktion vorgesehen, es wäre theoretisch aber programmierbar. Das wäre allerdings ausgesprochen schwierig, weil man die ganze Output-Routine so umprogrammieren müsste, dass das System, bevor es die Seite ausgibt, erst prüft, welche Fußnoten auf der Seite stehen, und dann für den Fall, dass es auf der Seite
n- und
n+1-stellige Fußnoten gibt, die Position der
n-stelligen Fußnoten entsprechend anpasst.
Für solche Anforderungen gerüstet sind die sehr teuren Expertenprogramme für komplexen Werksatz, z.B. Arbortext, das in den 80er Jahren unter dem Namen 3B2 entstand - es hat in bahnbrechender Weise eine batchorientierte, kommando- und skriptgesteuerte Arbeitsweise mit Wysywyg-Darstellung verbunden. Solche Programme kaufen gewerbliche Anwender, die ständig Satzherstellung für Verlage machen und dafür effiziente, automatisierte Lösungen brauchen. (Auch wenn so ein Programm 10.000 Euro oder mehr kostet, ist das immer noch viel billiger als die Fotosatzsysteme in den 80er Jahren.)
Schon im Bleisatz unterschied man zwischen "Werksatz" und "Akzidenzsatz" oder "Layoutsatz". Werksatz ist der Satz von Mengentext mit regelmäßigen, teilweise sehr komplexen Strukturen. Layoutsatz ist das freie Gestalten von Seiten mit Text- und Bildelementen. DTP-Programme sind zunächst einmal Layoutsatzprogramme. Mit ihrer mausgesteuerten Arbeitsweise haben sie sich um 1990 für den Layoutsatz als die besseren Werkzeuge gegenüber den Fotosatzsystemen (die zwar schon Wysywyg-Darstellung und Ganzseitenumbruch hatten, aber durchgängig mit vielerlei Kommandos gesteuert werden mussten) erwiesen. Für den Werksatz hingegen waren sie wenig geeignet - hierfür sind batchorientierte, kommandogesteuerte Systeme im Vorteil, denen man den Text zusammen mit Anweisungen zu seiner strukturierten Verarbeitung übergibt. (In den 90er Jahren war Tabellensatz mit QuarkXPress eine äußerst mühselige Angelegenheit, mit Fotosatzsystemen ging das unvergleichlich viel besser.) Natürlich gibt es auch Publikationen, die beide Anforderungen verbinden, und nicht jeder kauft sich dafür Arbortext (wobei zu den Investitionskosten für Unternehmen dann ja auch Kosten für Personalschulungen gehören, während mit Layoutprogrammen jeder Mediengestalter arbeiten kann). Daher haben seit etwa 2000 die Layoutprogramme auch Werksatzfunktionen wie Tabellensatz, Fußnoten, Marginalien usw. und Funktionen für datenbankgestütztes Publizieren aufgenommen (vorher gab es so etwas schon in Gestalt von Zusatzmodulen, die eine Menge Geld kosteten).
Für gewerbliche Anwender, die gezielt in erster Linie komplexen Werksatz anbieten, haben batchorientierte, programmierbare Systeme nach wie vor erhebliche Vorteile. Im Bereich der freien Software ist LaTeX ein grandioses Werksatzsystem, das - wie ich schon sagte - zwar nicht alles kann, was Arbortext kann, aber doch schon enorm viel, wenn man die nötigen Programmierfähigkeiten mitbringt. Wenn man diese nicht hat, kann man dennoch eine Menge fertiger LaTeX-Pakete nutzen, die schon allerhand brauchbare Problemlösungen anbieten.
Ich meine, für Werke, die in erster Linie aus komplex strukturiertem Text bestehen - z.B. die akademischen Arbeiten, die Arran mit Blick auf seinen Sohn erwähnte - ist für unsereins nach wie vor LaTeX ein hervorragendes Werkzeug. Deswegen erwähnte ich meine Erinnerungen an die alte Diskussion, wo jemand sich für seine Diplomarbeit Pagemaker gekauft hat und dann bitter enttäuscht war - das was damals einfach das falsche Werkzeug, weil es dafür nicht gemacht war.
Damit will ich aber natürlich keine Dogmen verkünden. Typographie beinhaltet immer pragmatische Entscheidungen, wo Prioritäten gesetzt werden müssen. "Workflow" ist ein gutes Stichwort: Das ist immer eine komplexe Prozedur, wo man über geeignete Mittel zum Zweck disponieren muss. Wenn man ein Buch mit vielen Bildern und ein paar Fußnoten machen möchte, dann könnte in der Tat Scribus das bessere Werkzeug sein. Das muss man anhand der konkreten Aufgabenstellungen entscheiden.
Ich möchte mit meinen Überlegungen bloß versuchen, die Probleme zu vergegenwärtigen, die sich in der Entwicklung von Software in diesem Bereich stellen, und das Verständnis für die Technologien schärfen. Vielleicht gelingt dann ein Diskussionsprozess, in dem realistische Kriterien für eine Weiterentwicklung freier Software entwickelt werden können. (Von der unverschämten Geschäftspolitik der großen kommerziellen Anbieter, die ihre Kunden gnadenlos abzocken, habe ich in den letzten 20 Jahren genug mitbekommen.)